Eine Woche nach der Silvesternacht war ich am Kölner Hbf, es war zur Feierabendzeit und dementsprechend voll, insbesondere an meinem Gleis. Seitdem ich vor einiger Zeit am Dortmunder Hbf von einem Teenager beklaut wurde, bin ich besonders vorsichtig bei größeren Menschenmasse. Mein Zug fährt ein und ich warte, bis alle anderen Wartenden eingestiegen sind als ein vielleicht arabischer Mann in meinem Alter auf mich zugestürmt kommt. Er spricht kein deutsch und bevor er mir klar machen kann was er von mir will, sage ich nur schroff ‚Nein!‘, drehe mich um und gehe Richtung Zug. Er kommt hinter mir her und in mir steigt Panik auf. Er holt mich ein und ich bin versucht schnell in den Zug einzusteigen, bis ich sehe was er in der Hand hat. Einen Ausdruck einer Bahnverbindung und er fragt mich auf englisch, ob das der richtige Zug sei. Ich bejahe und steige in den Zug und schäme mich.
Ich war nie überängstlich und sicher lebe ich nicht komplett ohne Vorurteile, bin mir dessen aber bewusst und kann Vorurteile von Fakten zumindest rational unterscheiden. Als ich im Zug sitze bin ich wütend über mein Verhalten und frage mich, wieso ich so dämlich reagiert habe – es ist ja auch nicht so, als wäre das der erste männliche Flüchtling gewesen, mit dem ich Kontakt hatte.
Es sind die Medien, die mich verderben. Es sind die nicht differenzierten Parolen, die auf Facebook aufploppen, es sind die doch eigentlich intelligenten Freunde, die rassistische Posts verfassen. Es ist die Menge, gegen die ich mich nicht wehren kann. Es wird so viel, dass es mir Angst macht.
Wenn ich nach meinem Job gefragt werde, antworte ich manchmal nur noch, dass ich in der Jugendhilfe arbeite und lasse das Detail aus, dass ich mit geflüchteten Teenagern zusammen arbeite, weil ich die Kommentare dazu nicht mehr ertrage. (Eine (ehemalige) Freundin fragte mich kurz vor meiner Einstellung, ob ich mit diesem Pack wirklich zusammen arbeiten möchte. Sie selbst kam mit Anfang 20 aus Bulgarien nach Deutschland um hier zu studieren.)
Ich schäme mich dafür, dass (syrische) Flüchtlinge am Kölner Hbf Rosen verteilen um sich bei den deutschen Frauen zu entschuldigen und gefühlt ganz Deutschland diese Aktion gutheißt. Ich finde es abscheulich, dass wir über eine Reduzierung der Flüchtlingszahlen sprechen und dabei ganz offensichtlich nur meinen, dass weniger Flüchtlinge unser Land erreichen. Ich finde es bedenklich, dass Deutsche sämtliche Ängste vorschieben (Angst um die eigenen Kinder, Angst um den städtischen Obdachlosen, Angst um die Alten, …), statt sich ihre eigene Angst vor Fremden einzugestehen. Ich finde es schwierig, dass die Medien nicht wissen wie sie mit ausländischen Straftätern in Berichterstattungen umgehen sollen, um nicht noch mehr Angst und Hass zu verbreiten. Ich bin froh, dass nächste Woche keine Bundestagswahlen sind. Ich weiß nicht ob es nur mir so geht, aber ich empfinde das Wort Flüchtling seit 2015 als negativ konnotiert, überstrapaziert und degradierend. Ich befürchte, dass hauptsächlich die Menschen ihren Fremdenhass im Netz verbreiten, die eigentlich gar keinen (persönlichen) Kontakt zu geflüchteten Menschen haben. Ich bin dankbar, dass ich in einer Stadt wohne, die sich abgesehen von ihren 20 Nazis durch Hilfsbereitschaft, Mitgefühl und Tatkraft auszeichnet.