Aus beziehungstechnischen und universitären Gründen benutze ich überdurchschnittlich oft die mobilen Gerätschaften der Deutschen Bahn. Auch die der jeweils lokalen Verkehrsverbünde. Mein Leben wäre weitaus weniger stressig, könnte ich all diese Fahrten vermeiden. Ich hätte aber auch weitaus weniger erlebt.
Dass die Deutsche Bahn nur mit Verspätung eintrifft, ist schon fast kein unbestätigtes Gerücht mehr. (Wobei sie keine Verspätung hat, wenn man es selbst nicht rechtzeitig zum Bahnsteig schafft.)Die Gründe für Bahnverspätungen variieren, und das manchmal von Station zu Station. Im gleichen Zug. Auf dem Weg von Köln nach Dortmund höre ich fünf verschiedene Verspätungsgründe. In Leverkusen heißt es, es wären spielende Kinder auf der Strecke. (Wo sollen die Leverkusener Kinder sonst auch hin.) Wir warten also, dass die Polizei die Strecke wieder freigibt. In Düsseldorf bleiben wir ein bisschen länger, weil wir einen Fernverkehrzug überholen lassen wollen. (Wer zuerst kommt mahlt zuerst gilt nicht bei der Deutschen Bahn.) In Duisburg stehen gefährliche postpubertäre Randalen in der Tür und geben diese nicht frei, obwohl der Zugbegleiter freundlich darauf hinweist, dass wir gerne abfahren würden. Dabei stehe ich auf dieses künstliche Hinauszögern der Weiterfahrt. Die Frau neben mir telefoniert mit ihrer besten Freundin, sie hat eine laute und deutlich in mein Ohr dringende Stimme. Sie vermisst eine Tupperschüssel, so eine grüne, sie könnte entweder bei ihrer Schwester sein oder aber in ihrem Keller. Überhaupt, die Schwester hat schon viel an sich gerissen. Eine leicht hysterische Stimme vom anderen Ende des Zuges schreit, dass ihr scheißegal ist, wo die Tupperschüssel sei. Ein älterer Mann mischt sich ein, ob es denn keine handyfreie Zonen in den Zügen gäbe. Ein jüngerer Mann fragt ebenso genervt, ob es keine rentnerfreien Zonen in Zügen gäbe. Kindergeschrei. Zwei Mitfahrer verlangen gleichzeitig kinderfreie Zonen. Verspätung mittlerweile 37 Minuten. Wir erreichen Mühlheim an der Ruhr. Der Zug ist jetzt nicht nur verspätet sondern auch übervoll. Rucksäcke drücken sich in Gesichter sitzender Menschen. Die erste Klasse oben ist frei, aber da ist die Deutsche Bahn konsequent, der Mob hat da nichts zu suchen. Kurz vor Essen, wieder eine Durchsage. Störungen im Betriebsablauf haben die nun 39 Minuten Verspätung verursacht, die Bahn bittet dies zu entschuldigen. Was bleibt uns anderes übrig. Kurz vorm Wahnsinn stelle ich mir vor, wie Bahnmitarbeiter Provisionen für die kreativsten Verspätungsgründe kassieren. Und wie ein Zugbegleiter einen Bonus erzielt, indem er die meisten Gründe in nur einer einzigen Fahrt durchsagt.
Vor mir sitzen Jugendliche deren Lautsprecher ihrer mobilen Endgeräte von wahnsinnig schlechter Qualität sind. Das hält sie leider nicht davon ab auf höchster Lautstärke die aktuellen Charts durchzuspielen. Immer nur die ersten 15 Sekunden. Etwa. Gleich dreh ich durch. Das Buch das ich lesen wollte, habe ich bereits in Deutz wieder in die Tasche gepackt. Der Mann der mir gegenüber sitzt, riecht aufdringlich nach Alkohol. Die Frau neben mir riecht aufdringlich nach billigem Parfum, zudem reicht der für sie zugedachte Platz des Sitzes nicht ganz aus, sie sitzt halb auf mir drauf. Bochum. Der Zugbegleiter hat ein Anliegen. Im letzten Wagon sitzt in kleiner farbiger Junge, er ist vier Jahre alt und heißt Duke oder so, wenn ihm jemand gehöre möge er sich bitte melden. Noch eine Station.
Kurz vor Dortmund, die letzte Durchsage. Wir wünschen allen aus- und umsteigenden Fahrgästen noch einen angenehmen Abend. Wir erreichen Dortmund mit einer Verspätung von 42 Minuten aufgrund hoher Streckenauslastung. (ES IST JEDEN TAG DIE GLEICHE AUSLASTUNG!!!! Uns kann man es ja erzählen.) Der Ausstieg befindet sich in Fahrtrichtung rechts.
Ich korrigiere, links.
Ich bin fertig mit der Welt, trotz oder gerade wegen professioneller Pendlerei. Ich brauche einen heißen Kakao und eine Gruppentherapie.
Auf dem Rückweg springt in Wattenscheid ein Mann vor den Zug. Ein anderes Mal verhaut eine betrogene Frau ihre Nebenbuhlerin. (Das war filmreif, der ganze Auftritt so insgesamt.) Die unendlichen Kontrolleur-Diskussionen sind in keiner Weise wiederzugeben. Ein Mann der sich neben mich setzt, vorgibt zu schlafen und dennoch immer näher ranrutscht und es auch nach zwei sehr deutlichen Hinweisen meinerseits nicht sein lassen kann. Zwei rauchende Männer im Abteil, zwei die sie aus diesem Grund schlagen möchten. Streitende Pärchen, endlose Telefongespräche. Bäume auf den Gleisen. Glätte. Und manchmal einfach nur Regen.
Sollte jemand wissen, was aus Duke geworden ist, so möge er sich bitte bei mir melden.
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